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Aphorismen

Treibholz



Hans Norbert Janowski
ISBN: 978-3-948229-25-2
Seiten: 140
Abbildungen: 11 Abbildungen - Holzskulpturen von Maren Neumann
Preis: 18,00 €
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Rezension

Jürgen Wilbert über:

Hans Norbert Janowski: Treibholz. Aphorismen, Sprüche und Sentenzen IV. Düsseldorf: Edition Virgines 2021.

Hans Norbert Janowski ist in der Gegenwartsaphoristik kein Unbekannter. Neben Publikationen zu theologischen und gesellschaftspolitischen Themen hat er bereits einige Aphorismen-Bücher veröffentlicht, u. a. „Das Wichtigste in Kürze“, Bochum 2015. Im Jahr 2020 hat er einen Preis im Wettbewerb „Torino in Sintesi“ der italienischen Aphorismus-Assoziation gewonnen. Nach dem Studium der Theologie, Philosophie und Soziologie, war er als Pfarrer und Journalist tätig. Er war  u. a. auch Rundfunkbeauftragter der Evangelischen Kirche (EKD).

Seinem neuen Band  hat er dem ungewöhnlichen Titel gemäß ein originelles Vorwort über Treibholz bzw. Wurzelholz und die literarischen Form des Aphorismus vorangestellt – passend zu den Abbildungen der mal sperrigen, mal anmutigen Holzskulpturen von Maren Neumann. Darin geht er auf Analogien und Divergenzen beider Formen ein und resümiert: „Eigensinn, artistische Kraft und Spieltrieb ringen in beiden Fällen miteinander.“ (S. 12)

Im Band, der 140 Seiten umfasst,  sind die zahlreichen Aphorismen in kurze thematische Kapitel gegliedert, und zwar adjektivisch von  a wie „absehbar“ bis z wie „zerstörbar“. Diese lebendige Strukturierung erhöht die Lesbarkeit, denn der Leser / die Leserin sieht sich so nicht einer unsortierten „Bleiwüste“ ausgesetzt. Das Leitmotiv des Autors lautet: „Kurz und klein – das ist die Größe des Aphorismus.“ (55) Folglich finden wir vorzugsweise Ein-Satz-Aphorismen, in denen die unterschiedlichen Merkmale und Stilelemente dieser kurzen Gattung gekonnt zur Geltung kommen, wie etwa als Enttäuschung der Erwartung des/der Lesenden: „Der Wortbruch hält länger als das gegebene Wort.“ (S. 15) Oder als eigenwillige Wortvariation: „Sorgfalt vermeidet Sorgenfalten.“ (19) Janowski reagiert mit seinen Sentenzen an mehreren Stellen auf politische und gesellschaftliche Phänomene, da haben sicherlich die vielen Berufsjahre in der „Medienlandschaft“ eine Rolle gespielt: „Hinweis für die Presse: Es gilt das gebrochene Wort.“ (20) / „Institutionen kennen keine Scham.“ (64) / „Einstimmigkeit ist der Tod der Politik.“ (138) Wir finden häufiger auch die Form der aphoristischen (Schein-)Definition: „Fatalismus: Wozu brauchen wir eine Herkunft, wenn es keine Zukunft gibt?`“ (21) / „Alternativlos ist nur die Sackgasse.“ (26) / „Der Weltbürger ist ein entpolitisiertes Wesen.“ (112)

Überzeugend ist auch Janowskis Einsatz von Metaphern: „Die lange Bank ist ein Friedhof für Entscheidungen.“ (40) Oder auf Seite 45: „Mit der Retourkutsche kommt man selten  ans Ziel.“  Im Band mangelt es nicht an Wortwitz, wie etwa in  dieser Wortneuschöpfung: „Sechsualität – Lotto als Existenzform.“ (30) Selbst vor Kalauern scheut Janowski nicht zurück, vornehmlich auf der Seite 75: „Wie beschlagen er ist! O ja – wie eine Fensterscheibe.“ Und als eher plumper Vergleich auf S. 94: „Nahverkehrsmittel: Liebe.“ Es ist noch steigerungsfähig in der Frage: „Wer ist dir lieber: Rasputin oder Putin?“ (122)

Zu einem seiner durchgängigen Stilmittel zählt auch die Verwendung und Abwandlung von Redensarten, wie in dieser Umkehrung: „Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser.“ (46) Oder als zeitkritische Kommentare: „Grundregel der Marktwirtschaft: seine Haut zu Markte tragen.“ (109) Und: „Ins Gras beißen? Gern, solange es noch wächst.“ (110) Zum Wortspiel äußert sich übrigens  Janowski selber kritisch. „Das Wortspiel: indem es zubeißt, verliert es den Biss.“ (77) Das Prinzip des (vermeintlich) Widersprüchlichen kommt in der folgenden Warnung zum Ausdruck: „Vorsicht! Das Banale steckt voll Tiefsinn.“ (38) Auffällig ist, wie oft die Satzstruktur  „Wer …, der …“ oder „Was…, das…“ auftaucht, hier nur wenige Beispiele: „Wer seine Heimat liebt, sollte sie auch kennen.“ (46) / „Wer klagt, gibt die Hoffnung nicht auf.“ (52) / Hier wieder kalauernd: „Wer alles offen lässt, bei dem zieht es.“ (63) / Und hier widersinnig: „Wer der Gewalt aus dem Weg geht, zieht sie an.“ (81) (Eine Häufung dieser Satzstruktur findet sich vor allem auf Seite 60.)

Was die thematische Breite anbelangt, so setzt sich der Autor mit den in der Aphoristik bevorzugten Themen auseinander:  Glück: „Das Glück kann man nicht lehren, du musst es riskieren!“ (130) – Wahrheit: „Die halbe Wahrheit ist schlimmer als die ganze.“ (136) – Moral: „Die Moral führt oft in die Katastrophe, die sie verhindern will.“ (137) – Gott und der Mensch: „Der Mensch ein Ebenbild Gottes. Was sagt uns das über Gott?“ (61) Und schließlich das Gewissen: „Mein Gewissen hat sich allmählich an mich gewöhnt.“ (31)

Beenden möchte ich meine Besprechung mit einem tröstlichen Spruch: „Warum ein anderer werden? Die eigenen Probleme sind mir wenigstens vertraut.“ (128) Die Lektüre des neuen Aphorismen-Bandes von Hans Norbert Janowski bietet eine Fülle von wortwitzigen und denkwürdigen Anregungen und Anstößen. Die Abbildungen der Holzskulpturen von Maren Neumann stellen eine zusätzliche Bereicherung der Sinne dar. In Abwandlung einer seiner Sentenzen kann man auch sagen: Die für die Lektüre „abgelebte (geteilte) Zeit ist Zeitgewinn.“

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